Impuls November 2021
Ein kleines Holzkreuz auf einem farbenprächtigen Trennstreifen zwischen Straße und Radweg, mitten im Leben ein Zeichen des Todes. Das Holzkreuz ist umringt von etlichen Gegenständen. Drei Porträtfotos, zwei von attraktiv lächelnden Frauen sowie einem Baby, Kuscheltiere, Muscheln, Vasen, Kerzen etc. Die beiden Frauen waren noch keine 30 Jahre alt. Sie sind zwei Wochen vorher an dieser Stelle mit dem Auto tödlich verunglückt.
Gegen einen Baum geprallt.
War es ein Glas Prosecco zu viel? Oder waren sie im Rausch der Geschwindigkeit? Vielleicht waren sie nur müde, zu müde, um noch die Kurve zu kriegen? Oder war am Ende ein anderer Verkehrsteilnehmer alkoholisiert, euphorisiert oder zu müde?
So oder so: Drei Menschen verloren von einer Minute zur anderen ihr Leben. „Mitten aus dem Leben gerissen“. In diesem Fall trifft es zu. Verwandte und Freunde sind geschockt und trauern, sie können es nicht fassen. Sie sind verzweifelt und fragen nach Gründen. Wer hat Schuld? Die Antworten helfen kaum, denn der Tod lässt sich nicht rückgängig machen. Selbst wenn man die Gründe dafür kennt.
Wie nah der Tod doch dem Leben ist. Der Tod ist uns so nahe, dass sein Schatten stets auf uns fällt. Aber nur selten und ungern denken wir daran. Nein, wir rechnen nicht damit, dass wir heute sterben könnten. Sonst würden wir uns sicherlich noch von unseren Liebsten verabschieden. Die zwei Frauen und das Baby konnten dies nicht mehr.
Trotzdem haben wir keine Angst vor dem Tod. Denn in uns lebt durch unsere Beziehung zu Gott eine Hoffnung, die eine weit über den Tod hinausreichende Perspektive eröffnet. Der Tod ist der Horizont des Lebens, wie wir es kennen. „Der Tod ist die uns zugewandte Seite jenes Ganzen, dessen andere Seite Auferstehung heißt.“ (Romano Guardini) Darauf setzen wir unsere Hoffnung.
Wir können den Tod am Ende nicht aufhalten. Trotzdem bitten wir Gott, dass er verhindern möge, dass wir schmerzvoll, jämmerlich oder gar qualvollen sterben müssen. Laut Psalm 90, Vers 6 ist der Mensch das Gras, das am Morgen blüht und sprosst und des Abends welkt und verdorrt. Dies war dem Psalmbeter schon vor mehr als 2000 Jahren bewusst. Und er kommt im Vers 12 zu einer wichtigen, vielleicht lebensentscheidenden Erkenntnis, deren Beherzigung er als Bitte an Gott richtet: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ Denn wir können entscheiden, wie wir jetzt leben. Wir können entscheiden, ob wir klug werden wollen, heute oder morgen. Aber auf einmal gibt es in dem Leben wie wir es kennen kein Morgen mehr, sondern nur noch ein Holzkreuz auf einem farbenprächtigen Trennstreifen zwischen Straße und Radweg.
Johannes R.