Impuls zum 26. April

Mit dem Auferstandenen das Leben finden …

Der lange Weg zur „Auferstehung“ …
 
In der „österlichen Freudenzeit“, die in diesen Wochen für die meisten Menschen kaum Anlass zur Freude gibt, sind viele Menschen mit Fragen und Zweifeln unterwegs, so wie die zwei Männer in der Ostergeschichte, die uns Lukas in der Bibel erzählt: Am selben Tag gingen zwei von den Jüngern nach Emmaus, einem Dorf, das zwei Stunden von Jerusalem entfernt liegt. Unterwegs sprachen sie miteinander über alles, was ´in den zurückliegenden Tagen` geschehen war; und während sie so miteinander redeten und sich Gedanken machten, trat Jesus selbst zu ihnen und schloss sich ihnen an. Doch es war, als würden ihnen die Augen zugehalten: Sie erkannten ihn nicht. »Worüber redet ihr denn miteinander auf eurem Weg?«, fragte er sie. Da blieben sie traurig stehen, und einer von ihnen – er hieß Kleopas – meinte: »Bist du der Einzige, der sich zur Zeit in Jerusalem aufhält und nichts von dem weiß, was dort in diesen Tagen geschehen ist?« –  »Was ist denn geschehen?«, fragte Jesus. Sie erwiderten: »Es geht um Jesus von Nazaret, der sich durch sein Wirken und sein Wort vor Gott und vor dem ganzen Volk als mächtiger Prophet erwiesen hatte. Ihn haben unsere führenden Priester und die anderen führenden Männer zum Tod verurteilen und kreuzigen lassen. Und wir hatten gehofft, er sei es, der Israel erlösen werde! Heute ist außerdem schon der dritte Tag, seitdem das alles geschehen ist. Doch nicht genug damit: Einige Frauen aus unserem Kreis haben uns auch noch in Aufregung versetzt. Sie waren heute früh am Grab und fanden seinen Leichnam nicht. Als sie zurückkamen, erzählten sie, Engel seien ihnen erschienen und hätten ihnen gesagt, dass er lebt. Daraufhin gingen einige von uns zum Grab und fanden alles so, wie es die Frauen berichtet hatten. Aber ihn selbst sahen sie nicht.« Da sagte Jesus zu ihnen: »Ihr unverständigen Leute! Wie schwer fällt es euch, all das zu glauben, was die Propheten gesagt haben! Musste denn der Messias nicht das alles erleiden, um zu seiner Herrlichkeit zu gelangen?« Dann ging er mit ihnen die ganze Schrift durch und erklärte ihnen alles, was sich auf ihn bezog. … So erreichten sie das Dorf, zu dem sie unterwegs waren. Jesus tat, als wollte er weitergehen. Aber die beiden Jünger hielten ihn zurück. »Bleib doch bei uns!«, baten sie. »Es ist schon fast Abend, der Tag geht zu Ende.« Da begleitete er sie hinein und blieb bei ihnen. (Lukas 24, 13-29)

Zwei Männer aus dem engsten Anhängerkreis um Jesus wenden sich enttäuscht von Jerusalem ab. Sie machen sich auf den Weg. Das ist schon mal gut. Nur nicht im Spinnennetz Enttäuschung hängen bleiben und von dieser Spinne gefressen werden. Wer in der Enttäuschung verharrt, erstarrt. Einmal stehen bleiben, um sich zu besinnen, ist gut. Aber dauerhafter Stillstand oder auf der Stelle treten ändern nichts; verändern nichts. Auch dies lernen wir in der momentanen Krisenzeit.

Die zwei Männer verfallen nicht in Lethargie. Sie igeln sich nicht ein. Sie machen sich auf den Weg. Sie verlassen den Ort ihrer Enttäuschung. Sie möchten ihre Vergangenheit hinter sich lassen. Dem Ort der Enttäuschung den Rücken kehren. Was vergangen ist, war einmal. Das Leben geht weiter; muss weiter gehen. Auch das ist gut so. Denn wer in seiner Enttäuschung stehen bleibt, bleibt in ihr gefangen. Er wird keine „Auferstehung“ erfahren. Er kann kein neues Leben finden.

Welche Enttäuschungen halten dich z. Z. gefangen und verhindern neues Leben?

Die zwei Männer sind gemeinsam unterwegs. Sie teilen ihre Vergangenheit. Auch das ist gut so. Wer allein unterwegs ist, bleibt meist auch allein. Er redet meist nur mit sich selbst und zu sich selbst. Er kann nicht teilen; nicht mitteilen. Wie gut, wenn wir nicht allein unterwegs sind. Wenn wir einen Weggefährten haben. Und wenn wir keinen haben, sollten wir ihn suchen. Er wird sich finden lassen. Wer den Ort seiner Enttäuschung verlassen will, sollte sich Wegbegleiter suchen. Er sollte nicht allein bleiben mit seiner Vergangenheit.
So nehmen die beiden ihren Lebensweg gemeinsam unter die Füße. Weg vom Ort ihrer Enttäuschung. Und sie gehen nicht nur nebeneinander, sondern sprechen miteinander. Sie teilen ihre Enttäuschung. 

Wann hast du das letzte Mal mit einem Menschen über deine Lebensenttäuschungen gesprochen?

Manchmal ist dies schon die wichtigste Wegstrecke auf dem Weg in eine neue Zukunft: das Reden miteinander; das Teilen der Enttäuschung. Es ist wie das Betrachten und Säubern einer Wunde. Dann kann der Heilungsprozess beginnen.

Wenn wir nicht allein unterwegs sind, sondern miteinander, dann können wir sicher Gleiches erleben wie die zwei Männer: „…während sie so miteinander redeten und sich Gedanken machten, trat Jesus selbst zu ihnen und schloss sich ihnen an.“ Das ist m. E. einer der tollsten Sätze in der Bibel. Der Auferstandene kommt unbemerkt und unaufdringlich dazu. Er passt sich ihrem Schrittmaß an, ihrem Lebenstempo, ihrem Lebensrhythmus, ihrem Gedankengang. Jesus war mit ihnen unterwegs. Hier wird buchstäblich wahr, was ER vor seinem Tod versprach: „Wo zwei oder drei zusammen sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen“. Ein Versprechen, das gilt.

Die zwei Männer sind nicht einfach verstummt. Sie verschließen nicht die Augen vor dem, was geschehen ist. Deshalb kann Jesus in ihr Gespräch eingreifen und es in eine andere Richtung lenken. Herausführen aus der eigenen dunklen Verworrenheit auf eine „Lichtung“. Aber Jesus hat es nicht leicht mit ihnen, wie Lukas bildhaft beschreibt. Sie sind zwar nicht blind, aber dennoch sind ihre Augen „zugehalten“. Sie erkennen Jesus nicht. Sie glaubten ja auch schon den Frauen nicht. Jesus wirft ihnen vor, sie seinen „unverständig“. Wie sollten sie auch „Auferstehung“ begreifen können?

Wie können solche „unverständigen und trägen Herzen“ (so wörtlich) verwandelt werden? Wie können solche schwerfälligen Menschen verwandelt werden? Indem sie erzählen dürfen! Wie sonst soll Neues Platz in ihnen finden, wenn die Enttäuschung allen Platz ausfüllt? Jesus löst den „Verwandlungsprozess“ der Männer aus, indem er sie erst einmal erzählen lässt. Er fordert sie heraus. Sie sollen ihre Sicht der Dinge darlegen; ihre Gefühle zeigen. Denn in den Gefühlen ist das ganze Leben. Und: Sie verweigern sich nicht. Sie tun es. Sie erzählen, wie sie alles erlebt haben und wie sie die Sache sehen. Jesus ist ein guter Zuhörer. Er setzt nicht einfach die „gute Nachricht“ auf die alte Enttäuschung obendrauf. Denn die Enttäuschung soll nicht einfach zugedeckt, sondern verwandelt werden! Unglaube soll nicht einfach begraben, sondern umgewandelt werden in Glauben! Auferstehung bedeutet nicht die Rückkehr des Alten, sondern den Durchbruch von etwas Neuem, den Durchbruch des Glaubens. Enttäuschungen kann man nur beerdigen, wenn man sie vorher genau angeschaut hat.

So wie Jesus die zwei Jünger einlud, sich zu öffnen und zu erzählen, so lädt er uns auch ein auf unserem Weg, uns zu öffnen. Die auferlegten Kontaktbeschränkungen in dieser Zeit sind kein Hindernis, um einander zu erzählen, was uns gerade schwer fällt, worüber wir enttäuscht sind, welche Sorgen uns beschleichen. Abstandsverordnungen zu unserm Schutz sind durch andere mögliche Kommunikationsmittel kein Hindernis! Und wir dürfen es vor allem IHM erzählen. Denn er ist mit uns unterwegs.

Aber dann fängt Jesus an zu reden. Er nimmt Sichtweise und Gefühle der zwei Männer ernst. Er konfrontiert sie aber auch mit den Worten der Bibel, die sie kennen. Und von der Bibel her kann er ihnen eine andere Sichtweise vermitteln. Es war notwendig, dass Jesus leiden musste. Notwendig, um Not zu wenden. Doch der Tod war nur ein Durchgang zu Auferstehung. Es gibt keine Auferstehung, ohne dass vorher Altes gestorben ist. Die Jünger hören zu, anfangs zweifelnd. Aber die Worte Jesu verfehlen nicht ihr Ziel. Und so bitten sie ihn, bei ihnen zu bleiben. Und Jesus bleibt.

Der Auferstandene geht unsere Wege mit! Er ist an unserer Seite – auch wenn wir ihn nicht erkennen. Wenn wir uns ehrlich öffnen vor anderen Menschen, öffnen wir uns gleichzeitig Christus. All das, was wir sagen, offenbaren, ist letztlich auch Gebet! Noch besser, wenn wir dies bewusst tun: Wir können zu IHM sprechen. Wir können ihm alles sagen, was wir in unserem Leben nicht verstehen. Er kann es uns deuten. Er kann uns von der „Schrift“ (Bibel) her eine neue Sichtweise vermitteln – auch durch andere Menschen.

Der Auferstandene geht aber nicht nur unsere Wege mit. Er lässt sich auch bitten, bei uns zu bleiben – wenn es für uns Abend wird; wenn es in uns oder um uns herum dunkel wird. Er geht mit uns dort hinein, wo wir „einkehren“; wo wir uns zurückziehen. Er geht mit. Er will mit uns sein. Damit wir zur „Auferstehung“ gelangen. Das ist für mich die tröstliche Botschaft in dieser Erzählung: „Er ging mit hinein, um bei ihnen zu bleiben.“  
 
Johannes Rosemann