Wandertag – für Kinder in der Grundschule auch heute noch eine frohmachende und willkommene Abwechslung im grauen Schulalltag. Es geht ins Grüne, der Rucksack ist gepackt, denn alle sollen etwas vorbereiten und mitbringen. Meine Tochter hat einen herrlichen Obstsalat gemacht. Doch am Ende droht alles ins Wasser zu fallen, denn es regnet Katzen und Hunde, wie der Engländer sagen würde. Ein Sauwetter, die Stimmung sinkt.
Am Treffpunkt ist niemand, wir stehen also buchstäblich im Regen. Da ich meine Tochter zu kennen glaube, vermute ich, dass sie wie so oft nur mit halbem Ohr die Absprachen in der Klasse verfolgt hat und beginne – wie ich finde völlig zu Recht – erzieherisch zu maßregeln. „Das sieht dir wieder ähnlich.“ poltere ich los, „Wer weiß, wo ihr euch trefft, nur nicht hier? Ihr müsst doch darüber gesprochen haben, was ihr bei so einem Wetter macht?“ Die Stimmung wechselt von Dur ins Moll, sie wird wie das Wetter immer mieser und unerträglicher. Schließlich packt das Töchterchen ihren Salat und stiefelt los. Sie sucht ihre Klassenkameraden.
Und sie findet sie, direkt um die Ecke: Die Kinder haben sich vor dem Regen in ein schützendes Buswartehäuschen geflüchtet. Der Treffpunkt stimmte! Auf einmal stehe ich ziemlich betröppelt da, und das liegt nicht nur am Regen.
Ich bin beschämt. Sie hatte also nicht mit halbem Ohr zugehört, sondern ich hatte viel zu schnell und mit nur halbem Verstand geurteilt. Natürlich beruhte mein Urteil auf Erfahrungen, aber eben nur Erfahrungen der Vergangenheit! In einer apokryphen Schrift der Bibel heißt es: „Du sollst nicht urteilen, ehe du die Sache gehört hast, und lass die Leute erst ausreden.“ (Sirach 11,8). Eine Aufgabe, der wir uns jeden Tag aufs Neue stellen können: Erst Zuhören, dann urteilen.
Wie gut, dass Gott nicht auf vergangene Erfahrungen mit uns baut. Hätten wir sonst noch eine Chance bei ihm? Wie gut, dass er uns jedes Mal neu vertraut – uns jedes Mal neu zutraut, Dinge besser zu machen als zuletzt. Wie gut, dass Gott keine erhobenen und ausgestreckten Zeigefinger kennt, sondern nur ausgestreckte Arme. Jeder Tag mit ihm ist ein neuer Tag mit ihm! Gibt es eine schönere Aussicht?
Als ich meine Tochter um Verzeihung bitte, glaube ich, einen Sonnenstrahl zu spüren.
Johannes R.