Impuls September 2021
Bei meinem täglichen Spaziergang begegnete ich vor einiger Zeit einer Frau und ihrem Hund. Ich kam mit ihr ins Gespräch über Gott und die Welt. Ihr Hund war ausgelassen und fröhlich, er beschnupperte mich ausführlich und fasste Vertrauen zu mir. Ich kraulte und streichelte ihn und fragte nach seinen Namen. „Meggi“, eine Hündin.
Einige Tage später sah ich die Frau wieder in der Ferne mit ihrem Hund. Ich rief laut: „Meggi“. Die Hündin kam sofort wie eine Rakete angerannt und ließ sich von mir streicheln. „Was für ein vorbehaltloses Vertrauen!“ dachte ich. Seit dem treffe ich Meggi und ihr Frauchen immer wieder, und jedes Mal reagiert die Hündin auf meinen Ruf, als ob wir uns schon jahrelang kennen würden.
„Vertrauen“ ist eine sensible Angelegenheit. Ein chinesisches Sprichwort lautet: „Die Angst klopft an die Tür. Das Vertrauen öffnet, aber niemand steht draußen.“ Wo Vertrauen ist, ist nun mal kein Platz für Angst. Aber wo Angst ist, wie die Angst vor Enttäuschung, da ist auch kein Platz für Vertrauen. Ist deshalb „Vertrauen das schwerste ABC“, wie die Schriftstellerin Hilde Dominn feststellt?
Ohne Vertrauen kann jedenfalls kein Mensch leben. Erst Vertrauen lässt uns wahrhaft Mensch werden und sein. Vertrauen trägt uns im Leben, wie der Erdboden, auf dem wir stehen. Viele von uns reagieren täglich in unzähligen Situationen mit blindem Vertrauen. Wir gehen davon aus (ohne groß darüber nachzudenken), dass auf andere Verlass ist – ob wir bei Grün über die Kreuzung gehen, uns in einen Bus oder in ein Taxi setzen usw. Hier bedarf es meist keiner besonderen Abwägung. Der Mensch vertraut von Natur aus. Neugeborene vertrauen ihren Eltern zu 100 Prozent, warum auch nicht?
Aber Vertrauen – vor allem zu Menschen – kann auch enttäuscht werden. Vermutlich ist keiner unter uns, der davon nicht mindestens eine Geschichte erzählen kann. Diese Enttäuschungen sind schmerzhaft und schlagen manchmal tiefe Wunden. So tief, dass sie nur schwer und langwierig heilen. So entsteht Angst, sich wieder neu auf das Wagnis „Vertrauen“ einzulassen. Heilt die Zeit alle Wunden? Manche Narbe schmerzt immer wieder, von Zeit zu Zeit, oft ein ganzes Leben lang. Doch alle Wunden und Narben nehmen dem Vertrauen weder seine Wahrheit noch sein Recht.
Manche Menschen meinen, sie könnten Vertrauen einfach produzieren. Aber Vertrauen kann nicht „gemacht“ werden. Vertrauen kann man nicht einklagen. Es entsteht mit guten Erfahrungen. Dann wächst es, und es wächst schneller, wenn wir selbst Vertrauen geben und dies immer wieder neu. Eine Pflanze kann sich auch nur vermehren, wenn sie ihren Samen immer wieder abgibt. So ist unser eigenes Vertrauen die Voraussetzung, dass Vertrauen auch um uns herum entsteht. Wenn wir das Wagnis eingehen, unbedingtes Vertrauen zu schenken, ohne Absicherung, dann kann sogar das Wunder geschehen, dass unser Vertrauen auf unerwartete Weise beantwortet wird.
Johannes R.