Gedanken über die vergangenen Wochen seit Ende Februar
(Angeregt zu diesem Impuls hat mich ein Artikel von Astrid Eichler in der letzten Ausgabe der Zeitschrift „Aufatmen“.)
Zu fünft waren wir in der letzten Februarwoche von Donnerstagmorgen bis Samstagmittag zur Über-tragung des Willow Creek Leitungskongresses in Leipzig – dachten wir. Am Freitagnachmittag wurde uns mitgeteilt, dass der Kongress aus Sicherheitsgründen beendet wird, weil ein Referent positiv auf Corona getestet wurde und sich die Referenten und Verantwortlichen am Mittwochabend getroffen hatten.
Es dauerte ein wenig, bis wir begriffen, es in mein Herz rutschte: Es geht nicht weiter. So richtig verstehen konnte ich es nicht. Im Nachhinein, viele Wochen später wurde mir bewusst: Es war eine weise Entscheidung, da sich tatsächlich beim Abendessen 4 Mitarbeiter und Referenten infiziert haben, unter anderen Ulrich Eggers, der 1. Vorsitzende von Willow Creek Deutschland, ein Moderator des Kongresses.
„Corona“ war bei mir persönlich wohl zum ersten Mal angekommen – aber auch nicht. Karlsruhe, wo der Kongress stattfand, war ja weit weg.
Das Privat- und Gemeindeleben lief fast normal weiter – auch wenn die „Einschläge“ näher kamen. So schlimm wird es nicht sein bzw. werden. Jedes Jahr gab es eine Virusgrippe.
Bis einschließlich 15. März feierten wir auf unserem Gemeindebezirk „normal“ Gottesdienste – nicht ganz, am 15. Gaben wir uns nicht mehr die Hände und ahnten, was auf uns zukommen könnte.
Am Montag, dem 16. März wurden alle Gottesdienste und kirchlichen Veranstaltungen abgesagt und die Einschränkungen im Zusammenleben wurden immer mehr erhöht.
Ich empfand und empfinde die Situation mit all ihren Einschränkungen und Herausforderungen als unsagbar vielschichtig und komplex – so viele Facetten unseres Lebens und Christseins sind angesprochen. Ist uns das – auch im Nachhinein – bewusst? Entdeckten wir die Chancen, die in dieser Zeit stecken? Die Botschaft, die uns vielleicht erreichen wollte?
Drei Punkte möchte ich herausgreifen:
1. Es war ja mitten in der Passionszeit, als Corona alles zu bestimmen begann. Oft überlegen wir uns zum Beginn der Passionszeit, wie wir fasten könnten.
Ich z.B. verzichtete bewusst auf Schokolade und Süßigkeiten und versuchte das Motto von „7 Wochen Ohne“: Zuversicht! Sieben Wochen ohne Pessimismus umzusetzen; so gut es eben geht.
Das mit den Süßigkeiten gelang mir bis Ostern recht gut – auch wenn einige Heißhungerattacken (erfolgreich) überstanden werden mussten. 7 Wochen ohne Pessimismus gelang am Anfang nicht immer. Aber ich sah Fortschritte. Zu Beginn der empfundenen Coronapandemie ab 16. März sah es mit dem Vorsatz auch noch gut aus. Ich genoss es, den Tagesablauf ganz anders strukturieren zu können – mir mehr Zeit für Gespräche (wenn auch nur telefonisch) nehmen zu können; Impulse statt Predigten zu schreiben, einige „Impuls-Briefe“ bei schönstem Sonnenschein austragen zu können, Gottesdienste zu sehen, wozu ich vorher keine Zeit zu haben meinte.
Doch irgendwann dachte ich nicht mehr an das Motto: Zuversicht! Sieben Wochen ohne Pessimismus. Dabei weiß ich im Nachhinein weder wann das begann noch, ob ich diesem Ziel näher gekommen bin oder nicht.
Uns wurde ja – spätestens ab dem 16.03. noch ein ganz anderes Fasten auferlegt. Diese Zeit ermöglichte Konzentration. Haben wir das ausgehalten oder versuchten wir möglichst viel von dem, was wir sonst haben, auch jetzt zu haben? Was fehlte uns so sehr, dass wir es nicht aushalten konnten?
Ich habe in dieser Zeit mit vielen telefoniert und festgestellt, wie unterschiedlich diese Zeit erlebt wurde und wird.
Könnte es sein, dass diese Zeit uns unsere wahren (= falschen) Götter zeigte? Luther hat mal gesagt: „Woran dein Herz hängt, das ist dein Gott.“ Es könnte sein, dass wir da ein paar entdeckten. Sind wir bereit, uns von ihnen zu lösen?
2. Das christliche Leben ist weitgehend in Veranstaltungen und Treffs (worunter ich auch Besuche zähle) organisiert. Die fielen jetzt aus. Fiel damit unser christliches Leben in sich zusammen? Waren wir nur auf der Suche nach Gottesdiensten im Netz oder TV? Haben wir versucht, möglichst vieles aufrechtzuerhalten in unserem Alltag? – so weit wie möglich.
Was schmerzte uns am meisten? Fehlende Gemeinschaft untereinander? Nicht tun dürfen, was ich will und für richtig empfinde? Bei Verantwortlichen vielleicht fehlende Kollekten?
Oder haben wir ganz alte Kostbarkeiten wiederentdeckt? Selbst in der Bibel lesen, sich zu zweit oder zu dritt austauschen und füreinander beten? Vielleicht konnten und können da Beziehungen ganz anders in die Tiefe wachsen?
3. Wichtig ist mir in dieser Zeit eine Botschaft geworden, die wir Christen ganz selbstverständlich kennen und für wahr halten: „Gott hält die ganze Welt in der Hand.“ (ein Lied, das wir schon in meiner Jugend sangen). Mir und Gott sei Dank auch anderen wurde bewusst: Unsere menschlichen Sicherheiten stehen auf tönernen Füßen. Mir fällt die Geschichte vom Turmbau zu Babel ein. Die Menschen wollten sich einen Namen machen, heißt es. Doch Gott zeigte ihnen ihre Grenzen.
Auch uns wurden jetzt Grenzen gezeigt. Es ist eben nicht alles plan- und machbar. Das gilt ganz allgemein, aber auch im ganz persönlichen Leben und im Gemeindeleben. Auf den ersten Blick kann dies schockierend sein. Auf den zweiten Blick aber auch befreiend: Nicht wir Menschen haben alles in der Hand sondern Gott.
Zu ihm habe ich mehr Vertrauen als zu uns Menschen, damit auch mehr Vertrauen als zu mir selbst.
„Gott hält die ganze Welt in der Hand.“ Das ist eine doppelt wichtige Nachricht.
Dieses Bekenntnis ist eine schlechte Nachricht für den selbstbestimmten Menschen, der in uns allen wohnt und meint: Wir haben das Leben im Griff. Wir wissen, wie es geht. Wir nehmen unser Leben selbst in die Hand.
Corona zeigte uns unsere Grenzen, zeigte, wie wenig wir die Welt und unser Leben im Griff haben.
Und zugleich ist dieser Satz eine gute Nachricht für den verunsicherten, ängstlichen Menschen, der in uns allen fragt: Wie soll das weitergehen? Was wird werden? Jetzt und danach?
Lernen wir diese Lektion „Gott hält die ganze Welt in der Hand“ und kehren wir um, von unserem Hochmut, aber auch von unserem „Kleinglauben“, unseren Ängsten.
Lasst uns Gott bitten um ein demütiges Herz und um Vertrauen, dass Gott die Welt in Händen hält, selbst wenn wenig davon zu sehen ist.
Pastor Diethelm Schimpf